The Great Escape
Als „The Great Escape“ (deutscher Titel: „Gesprengte Ketten”) 1963 in die Kinos kam, schien das Publikum bereits übersättigt von Weltkriegsfilmen. Und doch setzte Regisseur John Sturges mit seiner Verfilmung des gleichnamigen Tatsachenberichts von Paul Brickhill ein Monument, das bis heute begeistert. Dieser Film ist mehr als ein packendes Kriegsabenteuer – er ist eine Reflexion über Freiheitsdrang, Kameradschaft und die Notwendigkeit, in Extremsituationen Allianzen einzugehen, die man sich nicht ausgesucht hat.
Im Zweiten Weltkrieg errichten die Deutschen ein Hochsicherheitslager für alliierte Fliegeroffiziere, die bereits mehrfach aus Gefangenschaft geflohen sind. Das Lager gilt als ausbruchssicher, doch genau das weckt den Ehrgeiz der Insassen. Angeführt vom britischen Offizier Roger Bartlett (Richard Attenborough) entsteht ein Plan von beispielloser Dimension: Über einen Fluchttunnel sollen gleich 250 Gefangene gleichzeitig entkommen. Dabei treffen Männer unterschiedlichster Herkunft, Nationalität und Mentalität aufeinander: Der waghalsige „Cooler King“ Virgil Hilts (Steve McQueen), „der Schnorrer“ Bob Hendley (James Garner), „der Fälscher“ Colin Blythe (Donald Pleasence) oder der „Tunnelkönig“ Danny Valinski (Charles Bronson), um nur einige zu nennen. Jede dieser Figuren verkörpert nicht nur eine Funktion im Fluchtplan, sondern auch ein spezifisches Temperament – vom Draufgänger bis zum Zögerer –, das die fragile Dynamik der Gruppe prägt.
© Park Circus
Sturges versammelt ein Staraufgebot, das man selten in solcher Dichte auf der Leinwand sieht. „The Great Escape“ war quasi das „Avengers: Endgame“ der 1960er Jahre. Die Vielfalt der Charaktere ist zugleich die größte Stärke und Schwäche des Fluchtplans: Nur gemeinsam können sie das Unmögliche wagen, doch jeder Einzelne bringt auch sein eigenes Risiko und seine eigenen Interessen mit. Dadurch fügt sich „The Great Escape“ perfekt in die September-Reihe „Uneasy Alliances“ im heimkino ein, die jeden Mittwoch im CINENOVA in Köln Ehrenfeld läuft. Die Gefangenen sind gezwungen, über kulturelle, nationale und persönliche Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Ihr gemeinsames Ziel – die Flucht – schweißt sie zusammen, doch Misstrauen, Überforderung oder individuelle Eigenheiten bringen die fragile Gemeinschaft immer wieder ins Wanken. Das Verhältnis von Vertrauen und Verrat, von Loyalität und Eigeninteresse wird so zum eigentlichen Spannungsfeld des Films.
Die Verfilmung basiert auf einem Erfahrungsbericht von Paul Brickhill, einem australischen Kampfpiloten, der Teil einer Ausbruchsoperation aus dem Stammlager Stalag Luft III im niederschlesischen Sagan war. In der Wirklichkeit ereignete die Flucht in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1944 bei winterlichen Wetterbedingungen mit Eis und Schnee und auch zahlreiche andere Details wurden für den Film geändert. Die Grabung des Tunnels hat aber tatsächlich so stattgefunden. Sturges nimmt sich in seiner Inszenierung Freiheiten, um Spannung und Unterhaltung zu steigern, ohne jedoch den Kern der wahren Ereignisse zu verfälschen. So wird aus einem historischen Stoff ein packendes Leinwandspektakel, das Authentizität und Dramaturgie miteinander verbindet. Gleichzeitig sollte man aber nicht übersehen, dass die filmische Fassung viele Brutalitäten der Realität abmildert: In der historischen Nachgeschichte wurden zahlreiche der gescheiterten Fluchtteilnehmer bestraft und ermordet – ein Aspekt, der im Film nur angedeutet und nicht in ganzer Härte thematisiert wird. Sturges entscheidet sich damit für eine Erzählbalance, die den Mut der Fliehenden feiert, aber die vollständige historische Tragödie nicht ausstellt.
© Park Circus
Überrascht hat mich, dass der Film deutlich komödiantischer war, als ich erwartet habe. Diverse kreative Fluchtversuche zu Beginn des Films, die trockenen Antworten der Häftlinge gegenüber den Wärtern und erfolgreich Geflüchtete, die sich als Deutsche tarnen müssen… zur heutigen Zeit wirkt „The Great Escape“ wohl deutlich komischer als ursprünglich intendiert, aber auch aus dem heimkino-Publikum waren an viele Stellen laute Lacher zu hören. Gerade dieser Humor, der die Schwere der Thematik immer wieder aufbricht, macht den Film für heutige Zuschauer*innen zugänglicher. Er lockert die Handlung auf, ohne die existenziellen Risiken der Figuren zu überdecken. In Kombination mit den spannungsgeladenen Fluchtmomenten entsteht ein eigenwilliger Tonfall zwischen Abenteuerfilm und Tragödie, der noch lange nachhallt.
„The Great Escape“ ist weit mehr als ein klassischer Kriegsfilm. John Sturges gelingt es, Spannung, Humor und ein episches Gemeinschaftsdrama miteinander zu verweben. Was den Film auch heute noch so mitreißend macht, ist nicht nur die spektakuläre Fluchtgeschichte, sondern die Art, wie er das Ringen zwischen Solidarität und Eigeninteresse zeigt. Genau hier schließt sich der Kreis zum Monatsthema: Die Gefangenen sind Verbündete, solange es ihnen nützt – und doch droht ihr Plan an den kleinsten Brüchen im Geflecht der Allianzen zu scheitern. Auf der großen Leinwand entfaltete sich diese Spannung noch eindrücklicher: das Knistern der Tunnelwände, die Stille der Nächte im Lager oder das Dröhnen von Motoren bei einer Verfolgungsjagd. „The Great Escape“ ist nicht nur ein Meilenstein der Filmgeschichte, sondern auch ein Werk, das im Kontext des heimkino-Monats „Uneasy Alliances“ eine neue Dimension gewonnen hat. Hier geht es zur Monatsübersicht.