Midnight Cowboy

Nach seiner Veröffentlichung 1969 traf John Schlesingers „Midnight Cowboy“ (deutscher Titel: „Asphalt Cowboy”) das US-amerikanische Publikum wie ein Schock, indem er den American Dream gnadenlos an der Realität zerschellen lässt. Heute gilt das Werk nicht nur als Meilenstein des New Hollywood-Kinos, sondern auch als schonungslose Studie über Männlichkeit, Armut und die fragile Suche nach Nähe in einer Gesellschaft, die ihre Außenseiter fallen lässt.

Joe Buck (Jon Voight), ein Texaner im Cowoy-Outfit, verlässt seine Provinz, um in New York als Gigolo Karriere zu machen. Er ist überzeugt, dass reiche Frauen auf eine Mann im Western-Look warten. Dort angekommen, schlägt ihn die Realität ins Gesicht: Joe ist unbeholfen, die Stadt feindselig und die Frauen uninteressiert. Inmitten der Großstadt begegnet er Enrico „Ratso“ Rizzo (Dustin Hoffman), einem kränklichen, hinkenden Kleinkriminellen mit großen Träumen von Florida. Aus anfänglicher Abneigung wächst eine fragile Freundschaft – zwei Verlierer, die sich gegenseitig festhalten, um nicht vollends unterzugehen. Das ungleiche Duo lebt von Betrügereien und der Hoffnung, irgendwo, irgendwann einen Platz in der Welt zu finden.

Jon Voight und Dustin Hoffman als Joe Buck und Ratso Rizzo in "Midnight Cowboy"

© Arthaus/Studiocanal

Joe und Ratso sind Spiegelbilder all jener, die keinen Platz im Wohlstandsversprechen Amerikas finden: Migranten, Arme, Kranke, Queere. Die zwischenmenschliche Beziehung der beiden entwickelt sich keinesfalls aus Sympathie oder gegenseitiger Zuneigung, sondern aus der reinen Verzweiflung heraus. Im Kontrast zu den anderen „Uneasy Alliances“, die bisher im heimkino-September unter die Lupe genommen wurden, ist die Dynamik zwischen den Charakteren in „Midnight Cowboy“ deutlich leiser, verzweifelter, zerstörerischer…

Anders als bei den großen, oft heroisch erzählten Zweckbündnissen in den anderen September-Filmen entfaltet sich hier das Bündnis auf kleinstem Raum – in Betten, Bars, billigen Hotelzimmern. Es gibt keine gemeinsame Großaktion, keinen Fluchtplan, keine Schatzsuche; das gemeinsame Projekt lautet schlicht: Überleben bis zum nächsten Morgen, getrieben allein von der Hoffnung, irgendwann vielleicht doch noch den Sprung in ein besseres Leben zu schaffen. Die Beziehung von Joe und Ratso ist eines der ambivalentesten Paarkonstrukte der Filmgeschichte: Sie ist zugleich parasitär und lebensrettend. Zu zweit verloren zu sein, ist eben immer noch besser, als alleine verloren zu sein.

Formal wagt Regisseur John Schlesinger radikale Brüche: Rückblenden, Traumsequenzen und eine raue, fast dokumentarische Bildsprache verleihen „Midnight Cowboy“ einen experimentellen Ton, der perfekt zur Orientierungslosigkeit seiner Figuren passt. Die Großstadt erscheint nicht als glitzernder Sehnsuchtsort, sondern als labyrinthartiger, bedrohlicher Raum, in dem Joe und Ratso ständig neu ums Überleben kämpfen müssen.

Jon Voight als Joe Buck in "Midnight Cowboy"

© Arthaus/Studiocanal

Der Film erschien 1969 inmitten gesellschaftlicher Umbrüche: Vietnamkrieg, Bürgerrechtsbewegung, kulturelle Revolte. Während das US-Kino zuvor oft in glänzenden Bildern den Erfolg und das Glück der Mittelklasse feierte, lenkte „Midnight Cowboy“ den Blick auf die Schattenseiten der Metropole. Rauschmittel, Obdachlosigkeit, Vergewaltigung und Prostitution – Themen, die bis dahin kaum Platz in Hollywood gefunden hatten. Und auch indem er Sexualität und Homoerotik so offen und unzensiert thematisiert, begeht der Film zur damaligen Zeit Tabubrüche. Dass er trotz seines X-Ratings den Oscar für den besten Film gewann, war ein Zeichen des Aufbruchs ins New Hollywood. „Midnight Cowboy“ wurde so zur Galionsfigur einer neuen Filmsprache, die das Kino als Raum für radikalere, unbequemere Geschichten neu definierte.

Im CINENOVA in Köln Ehrenfeld zeigte sich, wie stark „Midnight Cowboy“ auch heute noch berührt. An manchen Stellen lachte das heimkino-Publikum unsicher über Joes unbeholfene Versuche, in der Großstadt Fuß zu fassen, doch dieses Lachen blieb im Hals stecken, sobald die Härte des Alltags durchschlug. Mit zunehmender Dauer legte sich eine spürbare Stille über den Saal.

„Midnight Cowboy“ ist kein Film, der Hoffnung oder Trost spendet. Er zeigt, wie zwei Außenseiter aneinander Halt finden und gleichzeitig unter dem Gewicht einer feindseligen Gesellschaft zerbrechen. Doch gerade in dieser schonungslosen Ehrlichkeit liegt seine Kraft.

Im Rahmen des heimkino-Septemberprogramms wird der Film zum eindringlichen Gegenpol: Während Sergio Leone, John Sturges oder David Lean Allianzen in heroischem, epischem Maßstab verhandeln, zeigt „Midnight Cowboy“, wie Alliierte auf der Mikroebene bestehen. Dass der Film über 50 Jahre später noch immer berührt, liegt daran, dass er universelle Fragen stellt: Wie überleben wir in einer Welt, die uns keinen Platz lässt? Und welche Beziehungen sind wir bereit einzugehen, wenn wir nichts mehr zu verlieren haben? Noch mehr Zweckbündnisse und fragile Allianzen gibt es nächste Woche Mittwoch mit David Leans „The Bridge on the River Kwai“. Hier geht es zur Monatsübersicht.

Filmplakat Filmposter "Midnight Cowboy"
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