Frankenstein
Wenn Guillermo del Toro endlich sein „Traumprojekt“ verwirklicht, dann sind die Erwartungen hoch. Er ist ein Regisseur, der in seinen Filmen nicht einfach Geschichten erzählt, sondern Welten erschafft. Dunkle, träumerische, zugleich grausame und liebevolle Mikrokosmen, in denen das Monströse schon in der Vergangenheit immer eine große Rolle spielte. Mit seiner Neuinterpretation von „Frankenstein“ nach dem Roman von Mary Shelley erfüllt sich del Toro nun einen Lebenstraum.
Im 19. Jahrhundert will der brillante, aber egoistische Wissenschaftler Victor Frankenstein (Oscar Isaac) den Tod überwinden und selbst Leben erschaffen. Das Ergebnis seiner vielen Experimente ist die Kreatur (Jacob Elordi): ein Wesen, das zugleich monströs und zutiefst menschlich ist. Victor verstößt seine Kreation, die daraufhin in eine feindselige Welt hinausgeworfen wird. Dort wird die Kreatur mit Angst, Ablehnung und Gewalt konfrontiert und beginnt zu begreifen, dass sie zwar ein Produkt menschlicher Hände ist, aber keinen Platz in der menschlichen Gesellschaft hat.
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Del Toro bleibt der Vorlage weitgehend treu, aber er nähert sich ihr mit erstaunlicher Zärtlichkeit: Statt eines Horrorfilms inszeniert er eine melancholische Tragödie über Einsamkeit, Verantwortung und den Schmerz der Schöpfung. Besonders in den stillen Momenten, in denen die Kreatur die für sie fremde Welt entdeckt, erreicht der Film eine poetische Tiefe. Jacob Elordi spielt das Monster mit einer Mischung aus kindlicher Verletzlichkeit und urzeitlicher Wut, während Oscar Isaac den inneren Konflikt eines Mannes verkörpert, der Gott spielen wollte und daran zerbricht.
Visuell ist „Frankenstein“ unverkennbar del Toro: gotische Architektur, schummriges Kerzenlicht, leuchtende Farben, die an barocke Gemälde erinnern. Jede Einstellung wirkt sorgfältig komponiert, als könnte man sie rahmen und an die Wand hängen. Mit langsamen, schwebenden Bewegungen führt die Kamera durch düstere Gänge, über schimmernde Apparaturen und entlang der Narben der Kreatur. Besonders beeindruckend ist die Gestaltung des Labors – ein chaotischer, metallisch glühender Tempel der Hybris, in dem Leben und Tod einander umkreisen.
Doch trotz vieler Stärken ist „Frankenstein“ kein makelloser Film. Besonders die CGI-Effekte stechen negativ hervor und durchbrechen die filmische Illusion immer wieder. Für eine Produktion dieser Größenordnung – und einen Regisseur der für handgemachte Effekte bekannt ist – wirken viele digitale Szenen erstaunlich unecht. Blitze, Explosionen oder Wasserströme sehen auf der Kinoleinwand aus wie schlechte Videospiel Sequenzen aus den 2010ern. Diese Schwäche ist umso bedauerlicher, da der Film in einigen Szenen mit herausragenden handgemachten Effekten brilliert und diese Magie in den digital erzeugten Sequenzen verloren geht. Im Stream und beim Schauen auf Tablet, Laptop oder Fernseher werden diese optischen Makel wohl nicht so sehr herausstechen, wie auf der großen Leinwand, aber trotzdem verschenkt „Frankenstein an dieser Stelle viel gestalterisches Potenzial.
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Der Film stellt existenzielle Fragen: Was bedeutet Menschlichkeit? Ist sie ein biologischer Zustand oder ein moralischer? Wo endet menschlicher Fortschritt und wo beginnt moralische Verantwortung? Del Toro gelingt es, die zentralen Konflikte der Vorlage in die Gegenwart zu übertragen. In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz und Biotechnologie neue Formen des „Schöpfertums“ ermöglichen, wirkt diese Geschichte aktueller denn je. „Frankenstein“ ist damit nicht nur eine Hommage an Mary Shelleys Roman, sondern auch eine zeitgenössische Reflexion über Macht, Schöpfung und Einsamkeit.
In seinen besten Momenten ist „Frankenstein“ ein zutiefst bewegendes Werk, das mit optischer Opulenz glänzt. Leider wird diese Magie immer wieder von erzählerischen Brüchen und technischen Unsauberkeiten durchlöchert. Del Toros Leidenschaft für dieses Projekt ist in jedem Bild zu spüren – aber nicht jedes Bild hält, was die Vision verspricht. Trotzdem ist dies ein Film der einmal mehr beweist, dass Guillermo del Toro zu den wenigen Filmemachern gehört, die das Schreckliche und das Schöne in einer einzigen Geste vereinen können.
Beim Tele-Stammtisch habe ich gemeinsam mit Dom noch ausführlicher über “Frankenstein” gesprochen. Zum Podcast hier klicken.
„Frankenstein“ erhielt in Deutschland ab dem 23. Oktober 2025 einen limitierten zweiwöchigen Kino-Release. Der Film ist ab dem 7. November 2025 im Stream auf Netflix verfügbar.