Bugonia

Yorgos Lanthimos did it again. Mit „Bugonia“ liefert der griechische Regisseur erneut einen Film, der seine charakteristische Mischung aus Groteske, schwarzem Humor und tiefgreifender Gesellschaftskritik meisterhaft vereint. Was zunächst wie ein Thriller-Szenario wirkt, entwickelt sich bald zu einem Kammerspiel über Wahrheit, Wahn und moralische Verantwortung. Dabei bleibt Lanthimos seinem unverwechselbaren Markenzeichen treu: Er nutzt das Absurde, um das Alltägliche zu sezieren.

Inhaltlich ist der Film ein Remake des südkoreanischen Werks „Save the Green Planet!“ Von Jang Joon-hwan. Der Verschwörungstheoretiker Teddy (Jesse Plemons) ist fest davon überzeugt, dass die mächtige Pharma-CEO Michelle Fuller (Emma Stone) in Wirklichkeit ein Alien ist, das die Menschheit ins Verderben stürzen will. Gemeinsam mit seinem Cousin Don (Aidan Delbis) entführt er sie, sperrt sie in seinen Keller und beginnt einen immer brutaleren Verhörprozess.

Emma Stone als Michelle Fuller in "Bugonia" von Yorgos Lanthimos

© Focus Features

Die Bezeichnung „Bugonia“ setzt sich aus den altgriechischen Wörtern für „Rind“ und „Erzeugung“ zusammen und beschreibt einen antiken Glauben, der annahm, dass aus dem toten Körper eines Stieres ein Bienenvolk entspringen würde. Eine Metapher für Kreisläufe von Tod und Wiedergeburt, für Zersetzung und Neubeginn. Natürliche Erneuerung – die Idee, dass aus dem Verfall neues Leben entsteht, durchzieht den Film auf allen Ebenen. Im Podcast beim Tele-Stammtisch bin ich fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sich der Titel von der Blume Begonie ableitet, was jedoch auch zum Bienen-Motiv passen würde. Bereits an dieser Stelle zeigt sich: „Bugonia“ bietet von Beginn an viel Raum und Fläche für eigene Interpretationen und Assoziationen.

Opfer oder Täter, Mensch oder Alien, arm oder reich? Yorgos Lanthimos spielt bewusst mit Gegensätzen und den Sympathien des Publikums. Das Machtspiel zwischen Michelle und ihren Entführern wird zu einer Parabel über Glaube und Kontrolle. Wer lügt hier eigentlich? Wer ist das „Monster“? Die Antworten auf diese Fragen verschieben sich ständig. Der Film zeigt, wie leicht sich Wahrheit biegen lässt, wenn Angst und Einsamkeit zum Nährboden werden. Teddy ist kein klassischer Bösewicht, sondern ein verlorener Idealist, der verzweifelt nach Sinn sucht und dabei zur Gefahr für andere wird. Michelle hingegen verkörpert die kalte Logik des Systems: rational, skrupellos, effizient. Ihre Auseinandersetzung wird zu einem Duell zweier Weltbilder – Emotion gegen Kalkül, Wahn gegen Macht. Und doch sind beide Figuren Produkte derselben Gesellschaft, die Empathie längst gegen Effizienz eingetauscht hat. Lanthimos’ größter Triumph besteht darin, dass er uns zwingt, in beiden das Menschliche zu erkennen.

Jesse Clemons und Emma Stone in "Bugonia" von Yorgos Lanthimos

© Focus Features

Formal bleibt der Regisseur seinem Stil treu: absurd-ritualisierte Dialoge und eine Bildsprache zwischen klinischer Präzision und grotesker Übersteigerung. Doch „Bugonia“ bewegt sich in einer realistischeren, aber nicht weniger unheimlichen Gegenwart als frühere Lanthimos-Filme. Das Grauen liegt nicht im Fantastischen, sondern im Vertrauten. Kameramann Robbie Ryan fängt sterile Büroräume, das vernachlässigte Vorstadthaus und den grell ausgeleuchtete Keller in kalten, kalkulierten Kompositionen ein. Es entsteht das Gefühl, Zeuge eines Rituals zu sein, das sich unaufhaltsam seinem Opfer nähert.

Das Ergebnis ist ein düsteres, vielschichtiges Werk, das zugleich verstört und fasziniert. Lanthimos entblößt nicht nur die Fragilität menschlicher Überzeugungen, sondern auch das unstillbare Bedürfnis des modernen Menschen nach Kontrolle – über andere, über die Welt, über das eigene Narrativ. Dass er seine Figuren mit so viel Ambivalenz zeichnet, verhindert jede einfache moralische Einordnung. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen, bis das Publikum gezwungen ist, sich selbst zu hinterfragen: Welche Wahrheiten glauben wir, weil sie uns Trost spenden? Welche Gewalt rechtfertigen wir im Namen der Vernunft?

Beim Tele-Stammtisch habe ich gemeinsam mit Stu und Schlogger noch ausführlicher über den Film gesprochen. Reinhören lohnt sich. Zum Podcast hier klicken.

„Bugonia“ startet am 30. Oktober 2025 in den deutschen Kinos.

Filmposter "Bugonia" Yorgos Lanthimos
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