A House of Dynamite
In Zeiten, in denen politische Instabilität, atomare Bedrohung und technologische Eskalation nicht länger Stoff dystopischer Fantasien, sondern Teil des gesellschaftlichen Diskurses sind, meldet sich Regisseurin Kathryn Bigelow mit dem Netflix-Thriller „A House of Dynamite“ zurück, der genau dort ansetzt – im Blick auf eine nukleare Katastrophe, die niemand wollte, die aber alle betrifft.
Ein unbekannter Angreifer startet eine Interkontinentalrakete, die binnen Minuten die USA erreichen wird. Während in einer Militärbasis in Alaska der Abschuss entdeckt wird, müssen gleichzeitig im Weißen Haus, im Pentagon und in weiteren Krisenstäben eine Kette von Entscheidungen getroffen werden: Wer hat abgefeuert? Soll ein Gegenangriff gestartet werden? Zeit zum Abwarten gibt es kaum, denn in weniger als 20 Minuten wird das Geschoss in Chicago einschlagen. Schnell wird klar, dass die größte Bedrohung nicht die Rakete selbst ist, sondern das System, das auf sie reagieren soll.
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Bigelow verzichtet konsequent auf die üblichen Mechanismen des Katastrophenkinos. Sie zeigt keine Explosionen, keine pathetischen Opfergesten, keine Helden, die im letzten Moment die Welt retten. Stattdessen dominiert die Nüchternheit: sterile Räume, kaltes Licht, flackernde Bildschirme, menschliche Gesichter, die zwischen Verantwortung und Panik hin- und hergerissen sind. Das Ergebnis ist ein Film, der mit minimalen Mitteln maximale Spannung erzeugt.
Gebrochen wird diese Spannung immer wieder von der Erzählstruktur. Bigelow konstruiert den Film als Mosaik aus Perspektiven, Zeitfragmenten und Kommunikationssträngen, die sich gegenseitig überlagern und ergänzen. Mehrfach springt die Handlung zurück zum Ausgangspunkt und schildert die Ereignisse aus der Sicht anderer beteiligter Personen und Gruppen. Diese Fragmentierung ist nicht bloßes Stilmittel, sondern ein Kommentar auf den Zustand moderner Informationspolitik: Niemand hat den Überblick, alle Handeln im Halbdunkel. Der Zuschauer muss Zusammenhänge selbst herstellen, während der Film sie gleichzeitig wieder zerlegt. Die Inszenierung wirkt, aber mich persönlich hat sie beim Zuschauen schnell frustriert. Was beim ersten Mal noch unkonventionell und innovativ wirkt, fühlt sich spätestens bei der dritten Wiederholung sehr repetitiv und ermüdend an.
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Thematisch ist „A House of Dynamite“ weniger ein Katastrophenfilm als eine politische Tragödie über Kommunikation, Misstrauen und Kontrollverlust. Es geht nicht um den Moment der Zerstörung, den das Publikum auch nie zu Gesicht bekommt, sondern um den Weg dahin – um das, was passiert, wenn Systeme für Sicherheit gebaut werden und am Ende nur Angst produzieren.
Wer nach emotionaler Identifikation sucht, wird sie kaum finden. Die fragmentierte Erzählung verliert in der zweiten Hälfte des Films deutlich an Intensität und das offene Ende lässt das Publikum ohne jegliche Antwort oder Befriedigung zurück und dürfte so manchen irritieren. Bigelow zwingt ihre Zuschauer, die Leerstelle auszuhalten, das Nichtwissen zu akzeptieren, das sonst durch narrative Auflösung ersetzt wird.
„A House of Dynamite“ ist definitiv kein typischer Netflix-Unterhaltungsfilm. Es ist ein Film, der fordert und dem Publikum mehr abverlangt, als er am Ende wieder zurück gibt. Kathryn Bigelow inszeniert ein eindringliches, beklemmendes Porträt einer Welt am Rande der Selbstzerstörung. Ihr Film ist ein kühles, analytisches Experiment über Macht, Information und Verantwortung – über Systeme, die sich selbst genügen, bis sie versagen.
„A House of Dynamite“ erhielt in Deutschland ab dem 10. Oktober 2025 einen limitierten zweiwöchigen Kino-Release. Der Film ist ab dem 24. Oktober 2025 im Stream auf Netflix verfügbar.